© Fotoarchiv Helena Melikov

Mit Whisky, ohne Rückspiegel.

von Michael Schuster

Der flackernde Asphalt läuft in Richtung Westen. Eben. Heiß. Ich sollte besser nicht mehr fahren. Bin müde, matt vom Tag, den Wochen. Ich sinke ins Leder, drücke den Rechten weiter durch. Anschlag. 3. Gang, mehr gibt’s nicht, mehr brauch ich nicht. Im Radio schummert irgendeine Blue Grass/Blues Quirlerei. Penitentiary Blues. Davor Twist of Fate von Rocky Shelton.
Der Blick aufs Armgelenk verrät mir die Zeit und auch, dass die Schnittwunde wieder sifft. Scheiße. Kann ich jetzt aber nich ändern. Die Frontscheibe zieht Schlieren und hat einer braunen Patina Platz gemacht, die sich jetzt sorgfältig darauf ausfaltet. 50 Meter Sicht, mehr is nicht drin. Auch keine Tankstelle weit und breit. Ich trommle mit den Fingern aufs Lenkrad, rotze aus dem offenen Seitenfenster. Draußen frisst sich die Sonne sorglos durchs Land, schluckt alles auf und verkeilt sich zusehends in meinem Motor. So is es. Ich dreh mich um, schaue nach hinten – sie schläft noch – greife an ihr vorbei und hol mir ne Flasche nach vorn. Single Malt. Schottischer Tropfen Leben. Keine Scheiße, von wegen Straight Bourbon; Kentucky my ass. Ich friemle den Korken mit dem Mund raus, spucke ihn in die Linke. Selbst das quietschende Ploppen beim Öffnen scheint dem Brennen der Hitze zu weichen. Ich setze an. 3 – 4 – 6 Schlucke. Jeder Schluck golden, tastet sich am Rachen langsam nach unten, erreicht die Magengegend und klingt geschmeidig aus. Pfropfen wieder drauf, rüber auf den Beifahrersitz. Die Straße zeigt keine Veränderung. 50 Meter, weiter nichts. Das reicht für den Moment, das reicht generell fürs Leben. Mehr verkraften die meisten doch sowieso nicht. Knicken ein, zerfallen. Die Rechte geht jetzt zur Brusttasche. Eine HB steckt da noch. Eine, die Letzte. Ich steck sie in den Mund, steck sie an und ziehe. Qualm hangelt sich langsam die Bronchien hinab, nickt beim Vorbeiziehen noch kurz dem Rest des Single Malts zu. Der, in Stärke und Nachhaltigkeit getrübt, schaut nur rüber und verstummt dann ganz. Seine Wirkung steigt derweil zu Kopf. Müdigkeit, Suff und Tabak, Geselle Tabacchus also, prachtvoller werden solche Freitage nicht mehr. Nicht bevor’s dafür ne Pille gibt. 3 in 1. 3 Wirkgrößen in einer beschissenen, weißlich schmeckenden Pille. Runtergespült mit Single Malt – man kann nie wissen.
Hinten gibt es ein Geräusch. „Sind wir da?“. Sind wir da? Saudumme Frage, wir fahren noch. Kein Anzeichen von Halt. Kann aber natürlich sein, dass in 55 Metern die Tanke kommt. Weiß ja keiner wirklich, bei der Scheibe. „Noch nicht, schlaf weiter!“. Sie nickt, denke ich zumindest. Der Rückspiegel ist geklaut worden und für ein eventuelles Nicken drehe ich mich keinesfalls um. Ein Geräusch, das jemand macht, der sich umdreht, kommt von ihr. Es gab wohl also ein Nicken, weil sie sonst auch nichts mehr von sich gab. Weiß nicht, ob das Nicken ein Nicken war oder sie es nur gedacht hat. Einerlei. Scheiße, sind wir überhaupt noch richtig? Ich lass die HB im Mund, der Raucht brennt in den Augen, wie die Hölle, und ich drück sie, die Augen, etwas zu. Schaue rüber zum Beifahrersitz, nehm die Landkarte und schaue mit verqualmter und tränender Sicht drauf. Viele Kurven, Linien und Felder. Ich suche den roten Punkt, der die Tanke markiert hält, schätze meine Position auf der Karte. Ja, warum nicht. Kann nicht so falsch sein. Ich falte sie nicht zusammen und schleudre sie rüber auf den Boden. Kann nicht so falsch sein, nein. Worte, die, von Frappanz überrascht, noch verhängnisvoll werden könnten. Ich zieh nochmal am Glimmer und nochmal. Nochmal und schnippe die HB geruchsneutral aus der offenen Scheibe. Den Rauch blase ich vor mich, was mir die Sicht nochmal um weitere Meter verscheucht. Aber, wir sind ja sicher gleich da.

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