© Fotoarchiv Helena Melikov

Schattenplätzchen.

von Michael Schuster

Version_un: Ein verhexter Tag. Und das ist nicht Folge 57 von Bibi Blocksberg sondern die Folge 10.950 meines Lebens. Der Morgen ist relativ gut gestartet. Ein Vogel pinkelte auf mich, der Wind fächerte willkürlich Müll in mich und die Sonne brachte mal mehr mal weniger Kraft auf um mich deutlich darzustellen. Alles in allem kann ich nicht meckern. Ich war mir zwar nicht ganz sicher ob mich der Baum nebenan so recht leiden kann, aber zumindest stahl ich ihm nur gelegentlich das Licht am Abend und durchlöcherte ihn nicht auf der Suche nach Würmern oder Käfern. Zwei Frauen liefen einige Meter neben mir vorbei und unterhielten sich über diverse Haartrockenmethoden und warum der Mann in Hut und Trenchcoat da so alleine dastand. Und ja, warum tat er das? Vor allem hielt er mich davon ab ausgeglichen und eben zu liegen. Jetzt stellte er mich als eine Art T auf seinem Trench dar. Ich kann nicht sagen, dass ich das gut finde, weil mich das neben dem gerade daliegenden Baumschatten etwas unförmig und schlabbrig aussehen ließ – verdammter Mann. Ich hab doch sonst nicht so ungleiche Pfostenschatten! Aber es sieht so aus, als würde er auf jemanden warten. Eine Frau, ein Mann oder seine Familie? Von seinem Gesicht zu urteilen würde ich auf jeden Fall sagen, dass er eine Toilette gut gebrauchen könnte. Hm, und was treibt er da, mit der Hand in seiner Tasche? Komischer Typ. Aber noch viel wichtiger wäre zu wissen, WANN ER ENDLICH WEGGEHT? Ich muss gerade liegen, sonst hab ich heute Nacht alle Mühe bis morgens wieder eine ebene Form hinzubekommen. Was sollen denn die Schatten um herum denken? Die Buschschatten tuscheln heimlich schon immer über mich, weil an der Stelle immer gerne Leute stehen oder sitzen und ich dann jede Nacht wach bin um mich herzurichten. Wahnsinnig spannend, wie nervös er wirkt. Und warum reibt er sich so an genervt im Gesicht herum? Es wird Zeit dass es Winter wird, dann ist es hier oben ruhiger und diese Plattform ist gesperrt, dann hab ich endlich mal wieder einen ruhigen Schlaf und liege entspannt auf dem ganzen schönen weißen Schnee. Und wenn manchmal ein bisschen etwas davon vom Haus fällt ist das eine herrliche Erfrischung. Oh oh oh, ich glaube da nähert sich jemand. Und sein Gesicht nimmt endlich auch freundlichere Züge an.

 

Und jetzt schnell ausstrecken und den Büschen einen schattigen Mittelfinger zeigen.

 

Version_deux: War der Trenchcoat die richtige Entscheidung? Damit wirke ich doch wie ein Agent und das für das erste Date? Aber zumindest habe ich meinen Glücksbringer in der Tasche. Soll ich mich auf die Stange setzen oder stehen bleiben? Hm, so hab ich natürlich das ganze Gesicht im Schatten. Ich könnte auch etwas nach rechts, aber dann sehe ich nicht, wann sie um die Ecke biegt. Warum ist der Schatten denn überhaupt hier? Also würde er mich mit Absicht nerven wollen und sich über mich lustig machen. Schrecklich, 32° und ich trage einen Ganzkörpermantel. Sehr clever und das alles nur, weil ich damit angeblich schlanker wirke – klar. Hallo Vera, ich bin Ben. Oh, schön dich kennenzulernen Ben, ist dir nicht viel zu warm bei 32° in einem Trenchcoat? Aber.. ohje, heißt sie Vera oder war es Verena? Denk nach, denk nach! Nein, Vera, ganz sicher. Falls doch nicht, werfe ich einfach meinen Trenchcoat auf sie und renn weg, damit hat sie dann erstmal zu kämpfen. Dieser Schatten. Ein nerviger Geselle. Hallo Vera, ich bin Ben. Darf ich dir vielleicht auch noch meinen Hut vorstellen, weil bei 32° weiß man ja nie ob man ihn braucht. Dumme Idee, ganz ganz dumme Idee. Tuscheln die Büsche hinter mir untereinander? Herrje, die Hitze macht mich wahnsinnig. Aber ich kann doch den Trenchcoat jetzt nicht die ganze Zeit tragen, da muss ich jetzt durch. Hi Vera. Tolle siehst du aus und so luftig gekleidet, ganz ganz tolle Idee das mit dem Sommerkleid. Hab ich denn meinen Glücksbringer noch bei mir? Ich.. ich.. ahja, hier. Sie müsste doch jetzt dann demnächst kommen. Ist doch sicherlich Zeit. Und eigentlich wäre eine Toilette jetzt ziemlich sinnvoll, weil ich seit dem Frühstück nicht mehr war. Sehr clever, dafür 30 min. überlegt ob ich nur mit Hemd oder Trenchcoat rausgehe. Gut investierte 30 min. Hey Vera, stört es dich wenn ich in die Büsche pinkeln würde? Ja? Ohh dieser Schatten. Kann ich es irgendwie schaffen ihn mir aus dem Gesicht zu reiben, damit nur mein Gesicht mit Sonne bestrahlt wird und ich ihr in einer heroischen Pose entgegentrete? Hm, klappt wohl eher nicht. Vielleicht hätte ich mal bis zum Winter warten und mich dann mit ihr dann treffen sollen. Du Vera, wäre es okay für dich, wenn wir uns in fünf Monaten treffen würden? Da passt mir die Temperatur besser, weil ich offensichtlich meine Garderobe überhaupt nicht im Griff habe. Wobei, im Winter ist es hier oben ja gesperrt. Sicher angenehm ruhig dann. Und alles liegt einfach so da, ohne gestört zu werden. Und jetzt Ruhe, sie kommt. Hände aus der Tasche und zumindest von außen her einen sicheren Eindruck machen. „Hey Vera.. ich bin Ben“. „Hi Ben, ich bin Verena.“

Weitere Texte von Michael

Das könnte Dich auch interessieren

Interview – Erick Costa Kohl

Der Künstler Erick Costa Kohl bestickt und bemalt alte Fotografien. Auf eine spielerische, emotionale und clevere Art transformiert und transportiert er die Bilder in die Neuzeit und gibt diesen eine neue Identität. „Berlin Stickerei“ ist der Ort seines Schaffens.

Weiterlesen »