© Fotoarchiv Helena Melikov

Manchmal frag ich mich

von Paula Kittelmann

Manchmal frag ich mich, ob du eigentlich so besonders warst, wie ich damals dachte. Oder ob ich mir das eingeredet habe, um endlich mal wieder an etwas glauben zu können. Die Musik, die wir gehört haben, die Bücher, die du gelesen hast und jene, die du dir aus meinem Regal ausgeliehen hast, um sie mit auf ein Festival zu nehmen. Du bist vermutlich der einzige Mensch, der ein Buch mit auf ein Festival nimmt, Erich Fromm auch noch, ernsthaft? Ich hab mir dich vorgestellt, wie du in deiner gelben Warnweste deinen Parkplatzdienst im Nieselregen schiebst, vielleicht hat es gar nicht geregnet zu der Zeit, das weiß ich nicht mehr. In meinem Kopf war jedenfalls dieses leicht melancholische, nieselregnerische Kopfschmerzwetter und du saßt zwischen zwei Birken, im Hintergrund ein Nadelwald. Ich weiß auch nicht mehr, was ich an dem Wochenende gemacht habe, an dem du auf diesem Festival warst und Erich Fromm gelesen hast. Später hast du mir erzählt, dass da so ein Mädchen war, mit dem du dich echt gut verstanden hast, dass sie aber mit ihrem Freund da war. Aber da war was zwischen euch, hast du gesagt. Ich hab nicht verstanden, was du mir damit sagen wolltest. Das war schon gegen Ende, als die Zeit, die wir auf deinem zerschlissenen Sofa mit Musikhören verbracht haben, schon neblig in einer Erinnerungsecke verstaubte. Das war nachdem du mir gesagt hattest, dass du depressiv bist und ich trotzdem deine Abweisung persönlich nahm. Das war, als wir nochmal versuchten, das Lachen gegenseitig aus uns heraus zu kitzeln, mit dem wir ganze Nächte verbracht hatten ohne zwischendurch Luft zu holen.

 

Ich war in diesem Sommer auch auf einem Festival, hab auch jemanden kennengelernt, aber ich hab dir davon nichts erzählt. Ich hab dir nichts erzählt weil ich nicht mehr wusste, wieso ich das hätte tun sollen. Weil wir zwei, drei Abende hatten, an denen wir uns fühlten, als würden wir die Welt verstehen und trotzdem ihren Kummer nicht ertragen, an denen wir das geteilt hatten – und letztendlich doch jeder für uns waren? Du sagtest mir immer, wie schön du mich fändest, und dass du deine Gefühle nicht verstehen würdest. Diese Gefühle, irgendwie matt aber drängend, die du versucht hast zu verstehen, indem du Erich Fromm last. Ich frag mich, warum ich das nicht damals schon begriffen habe, warum ich dachte, du seist etwas Besonderes, während du doch einfach nur dich selbst nicht verstanden hast wie so viele andere auch. Ich dachte vielleicht, deine Leichtigkeit sei etwas Besonderes, weil ich die manchmal an mir selbst vermisste. Aber eigentlich war das ja auch alles nur gelogen, geschauspielert, nichts Besonderes. Was ich an dem Wochenende gemacht habe, als du auf dem Festival warst und dieses Mädchen kennengelernt hast, was aber einen Freund hatte, weiß ich immer noch nicht. Vermutlich habe ich einmal zu viel über dich nachgedacht, und mich gefragt, was dich eigentlich so besonders macht.

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