© Fotoarchiv Helena Melikov

Herbstlich.

von Michael Schuster

Freilich hatte der Wind nur um mein Haus aufgefrischt, um mir im passenden Moment meinen samtblauen Hut vom Kopf zu pusten. Die rechte Hand kam zu spät und so purzelte er den kleinen Hügel vor meinem Haus hinab. Garstiger Geselle. Der grauschimmernde Himmel, der den letzten Tag im Oktober zu umgarnen versuchte, blies dabei die abenteuerlichsten Wolkenformationen über meinem Kopf hinweg. Ich nahm die Kamera fest in beide Hände und drückte ein paar Mal ab. Der Auslöser klickte laut und scheuchte zwei kleine Amseln, die nebst auf einem Zaun saßen, in die Luft hinauf. Ich atmete mehrfach tief durch, füllte meine Lungen mit der zarten Luft und schloss dabei die Augen. Ein adrett gekleideter Mann mit seiner Frau trat an mir vorbei. Er zog bedächtig an seiner Zigarre und ließ den dicken Rauch sanft zwischen seinen Lippen hindurchgleiten. Seine Frau hielt sich an seinem Arm fest und beobachtete die im Wind tanzenden Blätter. Sie grüßten mich und wollten wissen, was ich denn da knipse. Meine Antwort viel mit den Worten „das Leben“ recht undurchsichtig aus. Es schien dennoch ihr Interesse geweckt zu haben und sie begann mich zu fragen, ob ich das beruflich mache, was ich mit den Bildern mache und ob ich evtl. ein Stück mit ihnen laufen möchte, damit sie mir beim „Lebenfesthalten“ zusehen dürfen. Ich war überrascht aber fand die Idee gar nicht so schlecht.

 

Der sonntägliche Spaziergang führte uns in einen nahegelegenen Wald. Céline und Barnabass, so stellten sich die beiden vor, hatten heute erfahren, dass sich ihr Sohn, der in Dublin wohnt, heute verlobt hat. Barnabass raucht für gewöhnlich nicht, aber um dieses Ereignis zu zelebrieren holte er eine seiner Cubanas heraus, die er vor einigen Jahren von einem Bekannten erstanden hatte. Der hochwertige Tabak schmiegte sich an seine Zunge und er fühlt sich, als wäre er wieder ein junger Knabe – wie er es früher mit seinen Freunden gemacht hatte, als sie um die Häuser gezogen sind, und er eines Nachts beim Swingtanzen Céline kennen gelernt hat. Céline mochte das früher schon nicht, aber sie wusste, dass ihn der gerollte Tabak in seine Jugend zurückbringt. Sie richtete ihr samtweißes Halstuch, während ich einen Schnappschuss von ihr machte. Ihr wellig brünettes Haar saß perfekt und nur eine einzelne Strähne wurde vom immer wieder aufkommenden Wind umhergetragen. Barnabass pflückte derweil einen kleinen Strauß Blumen für Céline, die ihm dafür ein Lächeln und einen Kuss auf die Wange schenkte. Mein Hut wippte unruhig, ebenfalls vom Wind getrieben, hin und her. Der Wald sang ruhig sein Lied und warf vereinzelt einen Blätterregen auf uns herab, als würde er mit weinenden Augen dem endenden Sommer hinterhertrauern. Sein Blätterdach war inzwischen karger geworden und einige lichte Stellen ließen das erfrischende Tageslicht herein. Der Boden unter mir fühlte sich sanftmütig und beruhigend an. Das Rascheln der daliegenden knorrigen Äste und die vom nahenden Herbst gefärbten Blätter wisperten in einem Kanon in A moll. Ich kickte vereinzelt alles nach oben und fühlte mich wie ein Kind – ich vermute ein ähnliches Gefühl wie Barnabass es mit seiner Zigarre hat. Erneut huschte ein kräftiger Wind um uns herum und stahl Céline einige Blumen aus ihrem Strauß, dass nur noch ein Stiel mit Blättern da war. Sie schaute Barnabass an, flüsterte ihm etwas zu uns beide fingen lauthals an zu lachen. Ich war fasziniert. Vom Tag, der Agilität zwischen Céline und Barnabass und dem befreienden Gefühl, dass der Wald und sein Inventar in mir hervorzauberten.

Wir näherten uns einer Lichtung. Céline mit ihrem grünen Stiel und Barnabass mit seiner halb gerauchten Zigarre in der Hand. In einem kleinen Krater waren Stühle aufgebaut – sie schienen niemandem zu gehören, da wir die einzigen Personen weit und breit waren. Zumindest schien es so. Die Vögel um uns zwitscherten mutig, fast als würden sie uns anfeuern näher zu treten. Wir taten es. Barnabass schritt lächelnd auf einen der Stühle zu und setzte sich, die Zigarre in der linken Hand haltend. Ich trat mit Céline näher heran. Sie stieß mich in die Seite und meinte, dass ich jetzt mal zeigen kann was für ein Fotograf in mir steckt. Mit diesen Worten lief sie zu ihm rüber und saß sich auf rechtes Bein. Sie sah in verliebt an, ließ dabei den Blätterstiel in ihrer rechten Hand ruhen. Barnabass lachte ihr entgegen und ich drückte ab. Keine zwei Sekunden später gab der morsche Stuhl unter ihnen nach, ächzte noch einmal und die beiden fielen kichernd ins Laub. Wie Kinder blieben sie liegen, übertönten jedes Geräusch mit ihrem aus Schabernack gefüllten Lachen und gaben sich einen Kuss. Der Wind hatte jetzt freilich wieder nur um mich aufgefrischt, um mir im passenden Moment meinen samtblauen Hut vom Kopf zu pusten. Dieses Mal hielt ich ihn fest – meinen Hut sowie diesen Moment.

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