© Fotoarchiv Helena Melikov

Gedanken an Dede

von Aylin Öngün

Ich war einmal ein blondes kleines Mädchen in Rock und Strümpfen und Lackschuhen, das schüchtern an der Hand seines Opas in die Kamera schaute. Er war der Vater meines Vaters und ich nannte ihn Dede. Auf Außenstehende muss Dede sehr streng gewirkt haben. Auch zu mir war er streng, und zu meinen Schwestern wahrscheinlich auch. Wenn wir laut spielten oder stritten, rief er uns harsch zur Ruhe. Dann spielten und stritten wir leiser. Ich erinnere mich daran, wie er in seinem Sessel im Wohnzimmer saß. Dort sitzend rief er oft: Aylin, bana bir bardak su getir! [Aylin, bring mir ein Glas Wasser!] Und ich lief artig vom Kinderzimmer in die Küche und brachte es ihm.

 

Seine Haut im Gesicht, an Händen und Armen war so runzlig wie eine alte Gurke. An einem der faltigen Finger seiner linken Hand trug er einen großen goldenen Siegelring. Dede redete nicht viel, dafür schaute er viel fern. Dabei saß er in seinem Sessel und ließ er sein Gebiss aus dem Kiefer aus- und wieder einklacken. Obwohl seine Ohren sehr groß waren, hörte er schlecht, weshalb der Fernseher auf voller Lautstärke lief. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie er gleichzeitig den Kopf leicht schräg legte, einen anlächelte und den Kopf schüttelte, wenn er etwas nicht verstanden hatte, damit man es wiederholte.

 

Damit Dede sich ein bisschen bewegte, schickte meine Mutter ihn raus, um meine kleine Schwester im Kinderwagen spazierenzufahren. Mit der Herrenhandtasche am Handgelenk machte er sich schlurfend auf den Weg. Von diesen Spaziergängen brachte er mir oft Berliner mit oder eine Papiertüte mit Baisers. Jedesmal rief ich erfreut aus: Bunları sevdiğimi nereden biliyordun? [Woher wußtest Du nur, dass ich die so gerne mag?] Und jedesmal antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln: Kuşlar söyledi. [Das haben mir die Vöglein erzählt.] Auch er mochte Berliner, außerdem mochte er frischen Knoblauch und so roch er auch. Manchmal roch er auch nach Mentholbonbons, den grünen von EM Eukal, die überall in der Wohnung bereitlagen und wohl die einzigen Bonbons waren, die mir als Kind nicht schmeckten.

 

Wenn er nicht fern sah oder meine kleine Schwester spazieren fuhr, dann spielte Dede mit mir Karten: Kapdı Kaçdı, Pişdi, Ellibir hießen die Spiele meiner Kindheit. Ich gewann oft, denn er ließ mich gewinnen. Das wusste ich damals nicht, aber ich weiß es heute. 

 

Ich denke gerne an meinen Dede, an den Dede meiner Kindheit. Nicht so gerne denke ich daran, wie ich ihn zum letzten Mal sah: In einem hellblauen Pyjama in einem Istanbuler Krankenhaus. Es war ein 14. Februar und Babaanne, die Mutter meines Vaters, und ich brachten ihm Blumen mit zum Valentinstag. 

 

Als meine Schwestern und ich mit meinen Eltern zurück nach Deutschland zogen, sah ich meinen Dede drei Monate im Jahr, immer wenn er mit meiner Babaanne nach Deutschland zu Besuch kam. Und jedes Jahr im Sommer besuchten wir sie in der Türkei. Dede kaufte mir Toast mit Kaşar-Käse und wir spielten Karten. Bei einem dieser Besuche fragte ich ihn:

Napiyorsun? [Was machst Du gerade?]

Torunlarım burada olduğunu seviniyorum. [Ich freue mich, dass meine Enkelinnen da sind.]

Ve biz yokken ne yapıyorsun? [Und was machst Du, wenn wir nicht da sind?]

Sizi bekliyorum. [Dann warte ich auf Euch.]

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