© Fotoarchiv Helena Melikov

Festival, Tag drei

von Aylin Öngün

Dass wir diesen Moment zusammen hatten, war unwahrscheinlich. 

Du verkauftest Drogen und ich kannte Leute, die Du auch kanntest.

Wir wechselten kein Wort.

Von Pinien umgeben tanzten wir mit Deinen und meinen Bekannten durch die Nacht.

Ihr alle habt Albanisch gesprochen aber das hat mich nicht gestört,

denn ich wollte nicht reden

und auch nicht zuhören

und fühlte mich doch als Teil Eurer Gruppe. 

Ein leichter Regen setzte ein, als Du zu Deinem Freund etwas sagtest. 

Ich fragte Dich: Are you not well? Do you want to get out?

Und Du sagtest: Yes, thank you. 

Auf dem Weg durch die Menge nahmst Du meine Hand. 

Als wir aus der Menge draußen waren, setzten wir uns auf einen Baumstumpf. 

Ich legte den Arm um Dich und hielt Dich fest, denn Dir war kalt und Du warst kalt. 

The problem is here, sagtest Du, während Du Deine flache rechte Hand auf Deinem linken Brustkorb schnell auf und ab bewegtest. 

Ich gab Dir Wasser. 

Ich hielt Dich im Arm und nahm Deine Hände, denn sie waren sehr kalt. 

Thank you, sagtest Du leise. 

It’s nothing, antwortete ich. 

Auf Deiner Stirn waren kleine Schweißtropfen und Dir war kalt und ich hielt Dich fest.

So saßen wir eine Weile da.

Als der Regen stärker wurde, schleppte ich Dich durch das Dunkel unter ein großes Dach.

Dort saßen wir am Meer im Sand, Dir war noch immer kalt.

Ich hielt Dich fest und Du klammertest Dich an mich, Deine Hände in meinen.

Du redetest viel und ich nichts. 

Du sagtest: Tell me about your place in Germany. 

Ich antwortete: I don’t feel like talking right now. 

Dann hielten wir uns stumm umarmt. 

Du wurdest immer kälter und der Regen immer stärker. 

Let’s go to your car, sagte ich und half Dir beim Aufstehen und Laufen. 

Auf mich gestützt fandest Du den Weg und wir das Auto. 

Du setztest Dich auf den Fahrersitz und ich mich auf den Beifahrersitz, beide leicht durchnässt.

Du schaltetest die Heizung an und die Musik und lehntest Dich zu mir herüber. 

Ich drückte Deinen Kopf an meine Brust, wie eine Mutter ihr Kind an sich drückt.

Thank you, flüstertest Du.

It’s nothing, antwortete ich und gab Dir einen sanften Kuss auf die Stirn. 

Dann beobachtete ich Dich beim Einschlafen, es war vier Uhr morgens.

Ich beobachtete, ob sich Dein Brustkorb hob und wieder senkte.

Dann schaltete ich Musik und Heizung ab und beide dösten wir im Halbschlaf. 

Gegen sechs Uhr klingelte Dein Telefon und Du hobst ab und sprachst auf Albanisch. 

The others go now, sagtest Du. 

Do you want to go, too, fragte ich. 

Du nicktest einmal und wolltest das Auto starten aber ich sagte: I drive, und wir tauschten Plätze. 

Im Hotel brachte ich Dich zum Aufzug und wir umarmten uns lange.

Thank you, thank you, thank you, wiederholtest Du dabei leise an meinem Ohr. 

It‘s nothing, really, versicherte ich flüsternd an Deinem. 

Der Aufzug wartete schon auf Dich, als wir unsere letzte Umarmung lösten.

Als sich die Türe hinter Dir schloss, trat ich hinaus in Tageslicht und Nieselregen und wusste nicht, wohin mit mir.

Weitere Texte von Aylin

Gedanken an Dede

Ich war einmal ein blondes kleines Mädchen in Rock und Strümpfen und Lackschuhen, das schüchtern an der Hand seines Opas in die Kamera schaute. Er war der Vater meines Vaters und ich nannte ihn Dede.

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