© Fotoarchiv Helena Melikov

Sei jetzt still – Numinosum.

von Michael Schuster

30 Minuten nach der Aufnahme …

 

Reumütige Sehnsucht fesselt mich. ES beschwert meinen Körper mit bestialischem Terror. Mürbe – mürbe wandelt mein Geist in Gedanken an das Erlebte umher. Schaudernd und panisch ins Leere gierend. Die Sekunden schienen wie Stunden. Mein Gemüt so elend und zerrissen wie der von Löwen gerissene, ausgemergelte Leichnam vor mir. Das warme Blut noch frisch auf dem Boden brennt sich in mein Bewusstsein. Es zerschneidet mich wie ein kaltes, frisch geschliffenes Fleischermesser – tiefer  und tiefer. Fahles Licht scheint von oben auf mich herab und peinigt meinen Sehnerv, sticht mir schmerzerfüllend in mein Gehirn und erleuchtet die Gedanken an das Leid, dass ich in ihren Augen sehe. In ihre Augen brachte. Das blutige Handtuch immer noch leblos auf dem Boden neben mir. Über mich urteilend, mich angierend wie eine wütende Dorfgemeinde, die die Hexe ausmerzen will. Sei still – SEI STILL!

[Ich weiß nicht was du bist. Bist unbegreiflich, Vertrauen und Schauder zugleich; aber ich gehorche und gehöre dir.]

 

Die Schande erregt mich, lässt mich schneller atmen und das Pulsieren am Körper deutlicher Wahrnehmen. Die Kamera stetig um meinen Hals gebunden, das Unsagbare auf ihr gebannt. Ich spüre ein Schmunzeln über meine Lippen und die in Blut getupften Wangen hinwegstreifen, das jegliche Schuld wegzuwischen versucht. – War es denn so schlimm? – Ihr lebloser Körper auf dem Boden neben dem Handtuch. Der gepeinigte Ausdruck in ihrer toten Fratze. – Schrei doch noch einmal für mich, magst du das tun? Hab ich es nicht verdient dass du das nochmal für mich machst? SAG SCHON! – Die gequälten Schreie vibrieren immer noch in meinen Ohren. Hallen wider und erfüllen mich mit unvergleichlicher Ekstase. Regungsloser Körper. Ich möchte ihn nochmal berühren, ihn an mir spüren. Oh grausames und lusterregendes Elend, ich verzehre mich nach dir, will dich nicht verlieren. – Du wirst mich bald verlassen oder? –

 

Objektivierung. Objektivierung. – Du bist selbst schuld an deinem zerlegten Körper. Ich tat nur was unvermeidbar war. Mich trifft keine Schuld. Oder doch? Wir spielten doch nur. Machten kichernd Fotos voneinander und lechzten danach uns diesem Strudel der Gier hinzugeben. Gier. Sie entglitt mir und lies mich Faszinierendes mit dir machen. Deine panischen Schreie gefielen mir. Dein Blick, den Tod innehabend lies mich stärker beben, mich in meiner unbändigen Lust umherwinden.

 

Schweig jetzt – rede nie wieder. Erzähl es auch keinem. Das Bild werde ich gut verwahren. Es kommt zu den anderen. Ein bizarres Glockenspiel im Kopf. Die Anderen. Sie bettelten nicht so schön um ihr Leben, das war sehr besonders, ein denkwürdiger Moment. Ich hätte ihn gerne aufgenommen und deine winselnde, von Terror und Aufgabe belegte und zerrüttete Stimme aufgenommen. Einem Kinderchor gleichkommend. Sei jetzt still! Du bist selbst schuld an deinem zerlegten Körper. Du wolltest es so. Ergötzendes Erwachen für mich. Frappierendes Flehen für dich. Sei – jetzt – still!

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