© Fotoarchiv Helena Melikov

Es ist einer dieser Abende im Frühsommer

von Paula Kittelmann

Es ist einer dieser Abende im Frühsommer. Einer dieser Abende, die nicht mehr wirklich kühl sind, aber ab und zu fröstelt man noch. Wir liegen auf deinem Sofa, durchs offene Fenster weht die Luft – irgendwo in der Wohnung muss noch ein anderes Fenster geöffnet sein – und kühlt unsere erhitzten Gesichter. Wir haben Musik gehört, stundenlang, wie schon so oft, nach einem Tag im Park, nach Spazierengehen und verhaltenem Lächeln. Ich schaue dich immer wieder verstohlen an, du faszinierst mich, ich stelle mir so viel vor, zu dir, zu uns, wie das sein könnte. Den Tag im Park, den Abend auf deinem Sofa, Musik und Zigaretten, nicht viele Worte. Ich suche deine Nähe, genauso, wie ich ab und zu verstohlen dein Gesicht absuche nach einem Hinweis, einem kleinen, dass du ebenso empfindest wie ich. Irgendwann, auf dem Sofa, der moosgrüne Samtbezug verschlissen, ziehst du mich zu dir, küsst mich, ganz sachte nur, vorsichtig, dann fordernd, fast drängst du in mein Gesicht.
Wir küssen uns, die Musik verwischt zu ungenauen Hintergrundgeräuschen, die Gespräche, die durchs offene Fenstern von der Straße hinaufwehen, bilden eine leise Kulisse zu unserer Szenerie. Unsere Gesichter sind erhitzt, plötzlich wendest du dich ab. Schaust an die Decke, seufzt. „Ich fühle einfach nichts“ sagst du. Mir wird heiß, viel heißer als die Nähe lässt die Angst jetzt mein Gesicht glühen. Die Musik und die Gespräche, ab und zu das Rattern der Straßenbahn, alles dringt dumpf in meine Ohren wie durch Watte. Ich drehe eine Zigarette, um meinen Händen etwas zu tun zu geben. „Ich meine, ich fühle einfach nichts, generell, schon länger“ sagst du. Ich schaue dich an, du schaust mich an. Hier geht es gar nicht um mich, nicht um uns, denke ich. Hier geht es um dich. In deinen Augen sehe ich etwas, was mich um Hilfe bittet, etwas, was verstehen will, was passiert ist. Warum man manchmal nichts fühlt, warum man sich manchmal leer fühlt, nicht einmal richtig traurig, einfach leer. Und ich will dir erklären, will dir sagen, dass ich weiß, wie sich das anfühlt, und dass alles gut wird. Aber ich kann nicht, mein Gesicht glüht noch nach und ich spüre noch die Sonne auf der Haut und deine Lippen auf meinen und etwas anderes funktioniert noch nicht zwischen uns. Unsere Finger verschränken sich ineinander, wir schweigen. Vielleicht denkst du auch daran, was sein könnte, so wie ich.  

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