Fotografien von den 1880ern bis in die 1960er zeigen die Eroberung der Schaukel durch Frauen, eine fröhliche Sammlung von romantisch bis wild, von entspannt bis entschlossen, von verspielt bis befreit.
Claudia, wie und wann hast du angefangen alte Fotografien zu sammeln?
Alte Fotos sammle ich jetzt bestimmt schon seit mehr als 20 Jahren. Seit ich auf Flohmärkten unterwegs bin, so lange suche ich auch nach alten Fotografien. Wobei die Intensität der Suche in den letzten zehn Jahren deutlich zugenommen hat, auch die Suche nach bestimmten Themen hat sich geändert, mein Auge ist mehr geschult auf Kisten, Kartons und Koffer, in denen möglicherweise Fotos schlummern könnten.
Die Leidenschaft für Fotografie, alte Fotos oder generell für alte Sachen, habe ich von meinem Opa, der auch immer fotografiert hat. Als ich zwölf Jahre alt war ist er durch eine Augenkrankheit erblindet und hat mir seinen ganzen Fotokram übergeben. So hat eigentlich alles angefangen …
Das Faszinierende an der Schaukel für mich ist generell, dass es ein Gerät ist, das von selbst angetrieben werden muss. Auf Nichtbewegung folgt Stillstand. Aktivität ist Voraussetzung für Bewegung, dabei hat man die Stärke des Schwungs selbst in der Hand. Jede herbeigeführte Schwingung hat Auswirkung auf den Verlauf. Es ist diese Unmittelbarkeit, die mich begeistert.
Claudia Grabowski
Warum sammelst du schaukelnde Frauen? Warum Frauen und warum das Schaukeln? Und gibt es eigentlich auch Männer, die schaukeln?
Das Sammeln von schaukelnden Frauen hat sich während der Suche auf Flohmärkten ergeben. Auf einmal hatte ich ein Foto, das ich allerdings nicht in erster Linie wegen des Schaukelns mitgenommen habe, sondern weil mir der Gesichtsausdruck der jungen Frau einfach so gut gefiel. Und plötzlich kamen weitere Bilder dazu und irgendwann habe ich dann angefangen gezielt danach zu suchen und mich auch mit dem Thema Schaukeln auseinandergesetzt und dazu recherchiert und gemerkt, dass da noch viel mehr dahintersteckt als nur das bloße Hin und Her.
Tatsächlich habe ich noch nie ein Foto entdeckt, auf dem ein Mann allein schaukelt. Ich habe eins von meinem Vater, da ist er aber so 12/13 Jahre alt. Zählt in dem Sinne also nicht wirklich. 🙂 Und wenn ein Mann auf der Schaukel mal steht, dann nur, wenn auch eine Frau vor ihm auf dem Schaukelbrett sitzt.
Wie findest du deine Bilder?
Hauptsächlich auf Flohmärkten. Ich liebe Flohmärkte. Schon immer. Stöbern, schauen, sich freuen, wenn man einen kleinen Schatz findet, das ist genau meins. In Bremen bin ich so gut wie jeden Sonntag auf dem Flohmarkt unterwegs. Wenn ich in anderen Städten zu Besuch und auf Urlaub bin, schau ich natürlich zuerst nach Flohmarktterminen, Trödelhallen oder Antikläden und plane die Besuche mit ins Sightseeing-Programm ein.
Da ich in Münster studiert habe, muss ich mindestens einmal im Jahr auch zum dortigen Promenadenflohmarkt. Dieser findet von Mai bis September jeden dritten Samstag im Monat statt und ist einfach riesig.
2020 und auch noch 2021 war aufgrund von Corona natürlich ein schwieriges „Sammel-Jahr“. 2020 gab es in Bremen überhaupt keinen Flohmarkt und auch in diesem Jahr fiel der größte Markt auf der Bürgerweide aus. Ich bin dann in Berlin, Hamburg, Leipzig und Braunschweig auf der Suche gewesen, da war das möglich. Ich bin aber nicht extra für die Flohmärkte in die Städte gefahren, sondern war eh vor Ort und habe mich natürlich riesig über die Terminüberschneidungen gefreut.
Aus Mangel an Möglichkeiten habe ich dann auch angefangen im Internet (Etsy, Ebay, EBay Kleinanzeigen) nach alten Fotografien zu gucken. Das ein oder andere Bild habe ich tatsächlich auch dort gefunden und erstanden. Ersetzt aber bei weitem nicht das Gefühl über den Flohmarkt zu schlendern und mache ich auch eher selten. Eigentlich nur, wenn es mich überkommt und ich schon lange kein Foto mehr gefunden habe 😉
In deinem kürzlich erschienenem Buch Frauen, die schaukeln sind 68 kuratierte Fotografien und Postkarten von Frauen beim Schaukeln. Es gibt wahrscheinlich weitaus mehr Bilder zu diesem Thema in deiner Sammlung. Wie viele sind es? Und wie macht man* eine Auswahl für ein Buch?
So viel mehr sind es tatsächlich gar nicht. Ins Buch haben es 68 von 80 geschafft. Die Auswahl viel daher recht leicht. Schwieriger war eher die Anordnung, wo kommt was hin? Ist die Reihenfolge überhaupt wichtig? Welche Fotos passen gut zueinander? Da habe ich mir am Anfang wohl zu viele Gedanken gemacht und es dann einfach laufen lassen.
Warum war es für dich wichtig deine Sammlung in einem Buch festzuhalten?
Die Bilder, die ich zusammengetragen habe sind es wert gezeigt zu werden und nicht nur in meiner Kiste oder in der Schublade vor sich rum zu liegen. Da haben sie doch mehr verdient. Wobei ich am Anfang nie den Gedanken hatte: daraus muss jetzt unbedingt ein Buch werden. Ich sammle aus Leidenschaft und erfreue mein kleines Herz daran. Durch das Projekt „verinnerung“, das ich mit einer Freundin zusammen mache, gab es Gespräche mit dem Verlag und dann kam eins zum anderen und an den schaukelnden Frauen gab es Interesse.
Schön, bei dem Thema und den Bildern ist, dass sich jeder davon angesprochen fühlt. Es erinnert an die eigene Kindheit. An die Mutter oder Tante. Einige haben mir auch berichtet, dass sie durch das Buch nach langer Zeit die alten Familienalben wieder durchgeblättert haben, und allein dafür hat es sich gelohnt.
Wir bei Lost & Found versuchen uns eher literarisch der fiktiven Geschichte hinter den Bildern hinzugeben. Du dagegen, begibst dich auf eine Recherchereise, um die Geschichte dahinter zu ergründen. Warum ist es dir so wichtig die Menschen und Orte auf den Bildern auswendig zu machen?
In dem Projekt verinnerung mit meiner Freundin Monika Zobel, schreiben wir ja auch kleine fiktive Texte zu alten Fotografien. Verinnerung, ist eine Mischung aus vergessen und erinnern. Wenn man in alten Fotoalben blättert, rutschen die verblassten Erinnerungen von den Seiten; der zerbröckelte, rissige Kleber hält die eigenen Erinnerungen und die von fremden Menschen nicht mehr zusammen. Es gibt keine Gewissheit, wer die Menschen sind, wo die Fotos aufgenommen wurden. Die Wahrheit ist wie ein Pergamentblatt, das die Schwarz-Weiß-Fotos bedeckt. Sie sind milchig und unscharf und lassen Raum für individuelle Interpretationen, den Monika und ich nutzen.
Dazu eins meiner Lieblingszitate von Cees Nooteboom aus „Nachts kommen die Füchse“:
„In einer guten Geschichte ist die Zeit sowohl ausgehoben als auch anwesend. Bei Fotos ist es immer wichtig, wer nicht drauf ist, aber woher soll man das wissen? Ich meine, wenn man die Menschen auf dem Foto nicht kennt, kann man auch nicht wissen, wer fehlt.“
Bei Frauen, die schaukeln ist es allerdings anders. Da war es mir wichtig, die wenigen Informationen, die mir die Fotos geschenkt haben (Ort, Zeit), genauso wiederzugeben. Anhand von kleinen Notizschnipseln oder Stempeln auf den Rückseiten habe ich mich auf die Suche begeben und bin in Görlitz oder Wismar gelandet. Ich wollte den Frauen, ihrer Geschichte, ihrem Leben ein klein wenig gerecht werden, die ja sonst schon längst vergessen sind.
Welche Fotografien sammelst du noch außer der schaukelnden Frauen?
Grundsätzlich sammle ich Fotos, deren Motive mich berühren, bewegen und in mir etwas auslösen. Das können ganz normale Alltagssituationen sein oder auch Bilder, die verwackelt sind, auf denen der Daumen mit draufgekommen ist oder doppelt belichtet sind. Gerade das Imperfekte finde ich spannend. Neben Frauen, die schaukeln interessieren mich noch für Menschen, die schlafen, die unter Sonnenschirmen sitzen, die Sackhüpfen, Hula-Hoop machen oder Fahrrad fahren. Die sich küssen oder in Liegestühlen liegen und die am Meer sind, die schwimmen oder dabei sind ins Wasser zu hüpfen. Und Leuchttürme nicht zu vergessen. Eine wilde Mischung.
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